In dieser Folge geht es um Radical Candor – ein Führungskonzept, das auf Aufrichtigkeit und Wertschätzung basiert. Du erfährst, wie ehrliches Feedback und echtes Interesse an Mitarbeitenden zu besseren Beziehungen, weniger Fluktuation und besseren Ergebnissen führen. Praktische Tools helfen dir, Kommunikation und Teamarbeit gezielt zu verbessern.
In dieser Folge stelle ich wieder ein Führungskonzept vor: Radikale Offenheit.
Wenn wir Menschen führen, gibt es immer wieder Situationen, in denen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kritisieren müssen. Der Umgang mit solchen Situationen fällt den meisten Menschen nicht leicht. Als empathische Wesen sind wir darauf trainiert, freundlich miteinander umzugehen. Gerade junge Führungskräfte gehen solchen Situationen deshalb lieber aus dem Weg. Ich selbst erinnere mich an eine Situation, in der ich genau das getan habe. Es war in einem Mandat, in dem ich ad interim eine Teamleitung übernommen hatte. Ich hatte einen Mitarbeiter, der mir gegenüber sehr kritisch war und sich in Besprechungen destruktiv verhielt. Da ich noch sehr wenig praktische Führungserfahrung hatte, ging ich dem Gespräch aus dem Weg. Aber die Situation wurde nicht besser. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Schließlich musste ich handeln und konfrontierte den Mitarbeiter. Das tat ich auf die denkbar schlechteste Art: Ich machte ihm Vorwürfe. Die Sache war gelaufen. Ich hatte keine Chance mehr, eine vernünftige Beziehung zu ihm aufzubauen. Zum Glück konnte ich die Teamleitung ein paar Monate später an meinen Nachfolger übergeben, der es dann auch geschafft hat.
Was ist also schief gelaufen? Mehrere Dinge… Zum einen habe ich von Anfang an zu wenig Zeit investiert, um eine persönliche Beziehung zu meinen Mitarbeitenden aufzubauen, mich für sie zu interessieren. Zum anderen ist es mir nicht gelungen, Probleme offen und konstruktiv anzusprechen.
Wenn du solche Situationen auch schon erlebt hast und dich heute noch schwer damit tust, kann dir diese Folge helfen.
Radical Candor ist ein Konzept, das von Kim Scott in ihrem gleichnamigen Buch beschrieben wurde. Kim Scott arbeitete als Führungskraft bei Google und Apple. Während dieser Zeit entwickelte sie Radical Candor. Radical Candor basiert auf der Erkenntnis, dass wir als Führungskräfte zwei Eigenschaften entwickeln sollten. Aufrichtigkeit und Wertschätzung. Wenn wir aufrichtig und wertschätzend führen, können wir bessere und erfolgreichere Führungskräfte sein. Die Teamgesundheit steigt, die Fluktuation sinkt und die Ergebnisse werden besser.
Aber was genau bedeuten diese beiden Eigenschaften? Um zu verstehen, was genau mit Wertschätzung und Aufrichtigkeit gemeint ist, möchte ich die Begriffe kurz erläutern.
Wertschätzung bedeutet, dass wir uns für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interessieren und uns um sie kümmern. Das geht in der Regel weit über den beruflichen Kontext hinaus. Unsere Mitarbeitenden sind nicht nur Ingenieur:in oder Verkäufer:in oder Buchhalter:in. Sie sind meist auch Partner:in, Elternteil, Kinder, Nachbarn – Menschen eben. Das bringt es mit sich, dass sie manchmal auch ihre privaten Sorgen und Anliegen mit ins Unternehmen bringen. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Führungskraft sie als ganze Menschen wahrnehmen und uns auch als ganze um sie kümmern. Wenn das Kind krank zu Hause ist, sollten wir das wissen. Nicht um unsere Neugier zu befriedigen, sondern um einordnen zu können, warum ein Teammitglied vielleicht etwas weniger präzise arbeitet oder gereizter ist. Wir können Verständnis zeigen und zuhören. Das schafft Vertrauen und psychische Sicherheit. In meinem persönlichen Fall hat genau das gefehlt. Ich habe mich zu wenig für den Mitarbeiter als Menschen interessiert und konnte deshalb kein Vertrauensverhältnis aufbauen. Grundsätzlich fällt es den meisten Führungskräften nicht schwer, ehrlich zu sein und sich um die Mitarbeitenden zu kümmern. Aber gerade am Anfang denken viele, dass es nicht „professionell“ ist, wenn man sein Privatleben in den Betrieb mitbringt und sind deshalb deutlich zu wenig wertschätzend. Manchmal haben sie auch Angst, dass ihre Autorität darunter leidet – dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Gute Beziehungen zu den Mitarbeitenden sind ein wichtiger Bestandteil von Führung.
Aufrichtigkeit ist viel schwieriger. Aufrichtigkeit im Sinne von Radical Candor bedeutet, dass wir Fehler schnell und direkt ansprechen. Mit dem oben erwähnten Mitarbeiter hätte ich viel früher das Gespräch suchen und ihn auf sein Verhalten ansprechen sollen. Aufrichtigkeit bedeutet aber auch, dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermutigen, auch uns gegenüber aufrichtig Kritik zu üben. Um ehrlich zu sein: Das ist viel schwieriger, als selbst aufrichtig Kritik zu üben.
Aufrichtigkeit ist aber kein Freibrief für unnötige Unfreundlichkeit oder Beleidigungen. Wenn wir ein Gespräch mit dem Satz beginnen: „Lass mich wertschätzend und aufrichtig mit dir sein“, dann sind wir es in der Regel nicht. Bei Wertschätzung geht es auch nicht um den Smalltalk am Teamanlass oder um den grenzenlosen Austausch von privaten Details. Es geht darum, dass wir uns als Menschen wahrnehmen und kennen lernen.
Wenn wir Wertschätzung und Aufrichtigkeit in einem Quadranten eintragen, erhalten wir vier Bereiche, die Kim Scott wie folgt beschreibt:
Ganz oben rechts ist der Bereich, in dem wir aufrichtig und wertschätzend kommunizieren. Radical Candor bedeutet, aufrichtiges Lob und Kritik wertschätzend zu äußern. Gerade mit dem Loben tun wir uns immer wieder schwer. Aufrichtiges Lob ist sehr konkret. Allgemeinplätze wie „Du bist so ein tolles Teammitglied“ sind vielleicht ehrlich gemeint, kommen aber selten so an. Wir sollten Lob immer in den Kontext stellen und so spezifisch wie möglich sein. Also besser: „Ich schätze an dir, dass du bei Konflikten im Team ruhig bleibst und zwischen den Polen vermitteln kannst. Gerade heute Morgen in der Teamsitzung konnte ich das wieder bewundern. Ohne deine Vermittlung wären wir wahrscheinlich nicht so schnell zu einer Lösung gekommen, die von allen getragen wird“.
Wie eingangs erwähnt, ist ehrliche Kritik mindestens genauso schwierig. Auch hier müssen wir es in den Kontext stellen und erklären, warum wir mit dem Ergebnis nicht einverstanden sind.
Wenn wir ehrlich, aber nicht wertschätzend sind, sprechen wir von aggressiver Offenheit. Mein Mitarbeitergespräch war genau so. Ich habe ihn aggressiv offen kritisiert. Ich habe ihm nicht einmal ansatzweise gezeigt, dass ich mich für ihn interessiere. Hätte ich ihn gefragt, warum er gegen mich arbeitet oder was ihm an meiner Arbeit nicht gefällt, wäre das Gespräch ganz anders verlaufen.
Von manipulativer Unaufrichtigkeit sprechen wir, wenn wir zu wenig Interesse an einer Person haben, um ihr gegenüber aufrichtig zu sein. Menschen geben unaufrichtiges Lob und üben unaufrichtige Kritik, wenn sie zu sehr darauf bedacht sind, gemocht zu werden. Manipulative Unaufrichtigkeit ist nicht immer leicht zu durchschauen und kann viel Schaden anrichten.
Wenn wir uns aus Angst vor Konflikten davor scheuen, aufrichtiges Lob oder aufrichtige Kritik auszusprechen, sprechen wir von schädlicher Empathie. Ich habe immer wieder Führungskräfte erlebt, die es vermieden haben, ihren Mitarbeitenden klar zu sagen, was nicht gut läuft, aus Angst, sie zu demotivieren und das gute Verhältnis zu zerstören. Sie waren sehr empathisch, hatten aber Angst davor, ehrlich zu sein.
Aber wie kannst du Radical Candor für dich entwickeln?
Es gibt drei ganz konkrete Werkzeuge, die dir helfen können, klarer zu kommunizieren und besser im Team zusammenzuarbeiten: Transparenz und Klarheit, kollaborative Lösungen und Radical Candor Feedback. Ich gehe sie der Reihe nach durch.
Erstens: Transparenz und Klarheit
Wir benutzen oft Worte, die mehrdeutig sind. So richtige Kofferwörter, in die jeder etwas anderes hineinpackt. Ein gutes Beispiel ist das Wort Vertrauen. Was bedeutet das eigentlich für dich – und was für mich?
Deshalb: Frag nach, wenn du dir nicht sicher bist, was jemand meint. Zum Beispiel: „Wen meinst du mit wir?“
Oder: „Gib mir ein Beispiel, was du mit Vertrauen meinst.“
Oder: „Wenn du sauber sagst, meinst du damit auch XY?“
Allein solche Fragen können helfen, Missverständnisse zu vermeiden und Gespräche auf eine viel klarere Ebene zu bringen.
Zweitens: Kollaborative Lösungen in Meetings
Hier ein paar einfache Tricks, um Meetings produktiver zu machen:
1. Themen als Fragen formulieren.
Statt einfach „Kundenveranstaltungen“ auf die Agenda zu schreiben, lieber: „Welche Veranstaltungen für unsere Kunden wären im nächsten Quartal strategisch sinnvoll?“
So können alle direkt anfangen mitzudenken.
2. Nutze das Timeboxing.
Mache klar, was das Ziel eines Punktes ist – zum Beispiel: „Informationen austauschen“, „Input einholen“ oder „eine Entscheidung treffen“.
Und gib einen Zeitrahmen vor. Zum Beispiel: „Wir diskutieren 15 Minuten und stimmen dann ab, ob wir weitermachen oder zum nächsten Punkt übergehen“.
3. Lege Entscheidungsregeln fest.
Was passiert, wenn keine Einigung erzielt wird? Vielleicht: „Dann gehen wir zurück zu Punkt XY“.
4. Und ganz wichtig: Halte die nächsten Schritte fest.
Also: Wer macht was bis wann? Zum Beispiel: „A verschiebt die Montagssitzung auf Mittwoch, B und C arbeiten eine Lösung aus und laden das Team in zwei Wochen ein.“
Ein gutes Meeting-Format, das genau diese Punkte beinhaltet, habe ich in Folge 13 dieses Podcasts vorgestellt. Falls du sie noch nicht gehört hast, empfehle ich dir, das nachzuholen.
Drittens: Feedback mit Radical Candor
Wenn dich etwas stört oder du etwas ändern willst: Sprich es an – aber nur, wenn es dir wirklich wichtig ist. Und bitte öfter um Feedback als du es gibst.
Aber nicht allgemein: „Wie hat dir meine Moderation gefallen?“, sondern konkret: „Wie gut ist es mir gelungen, alle zum Mitmachen zu bewegen?“
Und wenn du Feedback bekommst – betrachte es als Geschenk. Pack es aus. Überlege dir: „Was, wenn das nur zu 20 Prozent stimmt – was kann ich daraus lernen?“
Wenn du Feedback gibst, hilft eine einfache Struktur:
Situation – Verhalten – Wirkung.
Zum Beispiel: „In der gestrigen Besprechung hast du deine Kollegin mehrmals unterbrochen…“
„…das hat bei mir den Eindruck erweckt, dass du die Präsentation übernehmen wolltest, anstatt sie zu unterstützen“.
Vermeide Schuldzuweisungen, Entschuldigungen oder Rechtfertigungen. Es geht nicht darum, Recht zu haben, sondern gemeinsam besser zu werden.
Mehr praktische Tipps zum Feedbackgeben mit Radical Candor findest du auch in den Podcastfolgen 14 bis 14.4 über effektive Kommunikation.
Am Ende braucht alles ein bisschen Übung. Aber das Schöne ist, dass uns nicht jeder Fehler zum Verhängnis wird. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, dass wir auch nur Menschen sind und Fehler machen. Wichtig ist, dass man damit anfängt und den Willen hat, besser zu werden.
Jetzt bin ich natürlich gespannt auf dein Feedback zu dieser Episode. Wenn du Radical Candor schon kennst, würde mich interessieren, welche Erfahrungen du damit gemacht hast. Wenn das Konzept für dich neu war, würde ich gerne wissen, ob es dich überzeugt hat und ob du es in deinen Führungsalltag integrieren wirst. Auch wenn du mit etwas nicht einverstanden bist oder Fragen hast, freue ich mich über deine Kontaktaufnahme. Am besten erreichst du mich per E-Mail unter podcast@antarius.ch. Gerne nehme ich mir auch Zeit für ein persönliches Feedback per Video-Call. Den Link dazu findest du wie immer in den Shownotes.
Zum Schluss wie immer eine kurze Zusammenfassung dieser Episode:
Mehr über Radical Candor kannst du im gleichnamigen Buch von Kim Scott nachlesen. Ich werde es in den Shownotes verlinken.
In der nächsten Folge geht es um Strategieentwicklung. Ich freue mich, wenn du wieder dabei bist.
Auf jeden Fall wünsche ich dir viel Erfolg und Spaß mit deinem Business. Bis zum nächsten Mal!